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Sachsen feiert eine Legende

Vor 60 Jahren startete erstmals die „152“, der in Dresden gebaute erste deutsche Passagierjet. Jetzt starten die Erben zum Höhenflug.

Von Michael Rothe
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Vor 60 Jahren startete erstmals die „152“, der in Dresden gebaute erste deutsche Passagierjet. Der Rumpf der abgestürzten Legende steht am Dresdner Flughafen. Besucher können vom 5. bis 9. Dezember jeweils 16 Uhr an Bord gehen.
Vor 60 Jahren startete erstmals die „152“, der in Dresden gebaute erste deutsche Passagierjet. Der Rumpf der abgestürzten Legende steht am Dresdner Flughafen. Besucher können vom 5. bis 9. Dezember jeweils 16 Uhr an Bord gehen. © Thomas Kretschel

Ist der 4. Dezember 1958 ein Tag der Freude oder der Trauer? Das Datum markiert mit dem Erstflug des ersten deutschen Düsenverkehrsflugzeugs einen Meilenstein der Luft- und Raumfahrtindustrie. Weil die in Dresden gebaute 152 exakt drei Monate später abstürzte, markiert sie aber auch das jähe Ende der DDR-Luftfahrtindustrie nach nur wenigen Jahren.


Endmontage der der ersten „152“ in Dresden. Foto: PR
Endmontage der der ersten „152“ in Dresden. Foto: PR
Der Rumpf der abgestürzten Legende steht am Dresdner Flughafen. Foto: Th. Kretschel
Der Rumpf der abgestürzten Legende steht am Dresdner Flughafen. Foto: Th. Kretschel
Aufbau des Passagierraums der 152. Foto: Sebastian Willnow
Aufbau des Passagierraums der 152. Foto: Sebastian Willnow
Das Cockpit ist erhalten. Foto: Th. Kretschel
Das Cockpit ist erhalten. Foto: Th. Kretschel
In der 33 Meter langen letzten Version der 152 war für 72 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder Platz. Foto: Th. Kretschel
In der 33 Meter langen letzten Version der 152 war für 72 Passagiere und sechs Besatzungsmitglieder Platz. Foto: Th. Kretschel
Intimer Blick ins Innere. Foto: Th. Kretschel
Intimer Blick ins Innere. Foto: Th. Kretschel
Ausstattungsdetail des Flugzeugs. Foto: Thomas Kretschel
Ausstattungsdetail des Flugzeugs. Foto: Thomas Kretschel
Gerhard Güttel, gelernter Flugzeugbauer, war Testflieger der legendären 152. Foto: Mopo-Archiv
Gerhard Güttel, gelernter Flugzeugbauer, war Testflieger der legendären 152. Foto: Mopo-Archiv

Für Wolfgang Göhler, Vorstandschef des Kompetenzzentrums Luft- und Raumfahrttechnik Sachsen/Thüringen (LRT), ist die Antwort klar: „Warum soll man trauern, wir können optimistisch in die Zukunft blicken“, sagt er. Marktprognosen sagten die Verdoppelung des weltweiten zivilen Flugzeugbedarfs bis 2030 voraus und ein jährliches Wachstum von fünf Prozent. „Der Branche geht es gut, sie ziehe Technikbegeisterte an, es gebe keine Nachwuchssorgen, so der Chef des Raumfahrtzulieferers Ruag Space Germany GmbH (vormals HTS) in Coswig. Er ergänzt: „Schön, dass es bei aller Tragik überhaupt einen Traditionsunterbau in Dresden und Sachsen gibt.“ Göhler, Jahrgang 1955, groß geworden im Dresdner Norden, hat keine persönlichen Erinnerungen an das historische Datum.

Sachsen kann nicht nur Kleinteile liefern

David Riedrich, Baujahr 1980, gleich gar nicht. „An mich kam das lange verschlossene Thema erst ran, als ich schon über 20 war“, sagt der Geschäftsführer von PMG in Wilsdruff, Hersteller von Präzisionsbauteilen auch für Branchengrößen wie Airbus, Diehl und Pilatus. Die 152 habe gezeigt, dass man im Freistaat nicht nur Kleinteile, sondern ein Endprodukt fertigen könne. So sei der Grundstein gelegt worden, auf den man nach der Wende habe aufbauen können.

160 Firmen und Forschungseinrichtungen mit rund 7 000 Mitarbeitern und 1,4 Milliarden Euro Jahresumsatz tummeln sich in der kleinen, feinen und gut vernetzten Branche des Freistaats. Für Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig (SPD) gehört sie „zu den wichtigsten Luft- und Raumfahrtclustern Deutschlands“. Die Unternehmen seien Innovationstreiber bei der Aus- und Umrüstung von Flugzeugen, Komponentenfertigung, bei Tests von Flugzeug- und Raumfahrtstrukturen.

Kein weißer Fleck mehr

Zu den Nachfolgern der Flugzeug-Pioniere zählen Weltmarktakteure wie die Elbe Flugzeugwerke, IMA Materialforschung und Anwendungstechnik sowie der Systemzulieferer AOA Apparatebau Gauting – dazu Cotesa, ein Spezialist von Faserverbundbauteilen in Mittweida, der Sensorhersteller ADZ Nagano in Ottendorf-Okrilla, die PMG Precision Mechanics Group in Wilsdruff, der Seifhennersdorfer Isoliermattenhersteller Olutex.

„Für den Bundesverband BDLI war Sachsen lange ein weißer Fleck“, sagt Wolfgang Göhler. „Jetzt werden wir auch dank unserer Forschungslandschaft gesehen – bei Leichtbau, Materialwirtschaft, Mikroelektronik und Sensorik.“ Seine Ruag Space Germany ist mit ihren Produkten schon ganz oben: im All. Die Rand-Dresdner hatten mit Antennen samt Steuerung zum Erfolg der „Rosetta“-Mission der Europäischen Weltraumbehörde Esa beigetragen. 2019 wird das letzte Teil für den EnMap-Satelliten ausgeliefert, und es laufen die Vorbereitungen für ein millionenschweres irdisches Projekt: hochpräzise bewegliche Teile für einen Großkunden der Mikroelektronik-Zulieferindustrie. Auch PMG wächst laut Chef Riedrich: mit Kabinenteilen für Gepäck, Bordküche sowie Komponenten für Landeklappen und Bodenplatten.

Sachsens Branche steht glänzend da – auch weil sie Russland-Sanktionen, Brexit, Handelskriege und andere Unwägbarkeiten kaum berühren. „Man kann beklagen, dass es hier keine Endfertigung mehr gibt, wird es aber nicht ändern“, sagt Wolfgang Göhler. Der LRT-Chef sieht die Erben der 152 im Höhenflug. Alexander Gerst, Kommandant der Raumstation ISS, trägt gerade das an der TU Dresden entwickelte Gesundheitsüberwachungssystem „Metabolicspace“. Und am 1. Weihnachtstag schicken Dresdner Experten mit Kollegen aus Würzburg das weltweit kleinste elektrische Raumfahrtantriebssystem ins All.